Wie werde ich Aktivistin in sieben Tagen?

Autorin Greta Taubert will mal so richtig dagegen sein: mit markigen Parolen, irritierendem Straßentheater und illegaler Spaßguerilla. Wogegen ist allerdings noch nicht ganz klar. Darum hat sie sich eine Woche lang in ein Camp für kreativen Protest eingeschleust. Ein subversiver Selbstversuch.
Uni SPIEGEL

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Das ging schon mal voll daneben. Ein Riesenpatzer, und das gleich am Anfang. “Hallo, ich bin Greta und möchte hier herausfinden, wie ich Aktivist werden kann”, sage ich in eine Stuhlkreisrunde hinein. Da sitzen blonde Mädchen mit schönen Lippen, die für NGO’s arbeiten, ein ernst schauender kurdischer Theatermacher, ein Mann mit dem T-Shirtaufdruck “Never conform”, Mädchen mit bunten Ringelkleidern, eine wissend lächelnde Frau mit grauen langen Haaren und auch ein Hemdträger. Die merkwürdig gemischte Gruppe schweigt. Dann sagt die lächelnde Frau: “Du kannst höchstens Aktivistin werden!” Innerlich schlage ich mir an die Stirn und denke: ‘Richtig,  ab jetzt musst du politisch korrekt alles bis zum Salzstreuer durch-gendern.’ Äußerlich spüre ich die Schamesröte aufsteigen und sage: “Ich muss wohl noch viel lernen.”

In meinem ganzen Leben habe ich noch nie an einer Demonstration teilgenommen, nie eine öffentliche Unruhe angezettelt oder die Staatsgewalt auch nur durch Zunge herausstrecken provoziert. Vielleicht war es die Rolle als journalistisch unbeteiligte Beobachterin, die mich bisher davon abgehalten hat. Vielleicht war es auch einfach Ignoranz. Doch das soll sich jetzt ändern. Wenn selbst im bürgerlichen Stuttgart wegen eines Bahnhofs der Volkszorn tobt, dann stehen uns in Deutschland bewegte Zeiten bevor. Und dafür möchte ich vorbereitet sein.

Deshalb habe ich mich bei einem Protestcamp angemeldet. Solche Lager sind in der Aktivistenszene ein wichtiger Bestandteil, um politischen Widerstand professionell vorzubereiten. Vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm haben tausende von Demonstranten ihre Zelte in den Camps im Umland aufgeschlagen und sich in Blockadetrainings, Trommelworkshops oder Diskussionsrunden auf ihren Widerstand vorbereitet. Auch Greenpeace veranstaltet Klimacamps, immer dort, wo die Umweltzerstörung am größten ist  wie beispielsweise auf dem schnell abschmelzenden Gornergletscher in der Schweiz.

Das “Labor für kreativen Protest”, für das ich mich angemeldet habe, ist anders. Es geht nicht von einem konkreten Inhalt aus, sondern will Aktivistenanfängern wie mir einen Einblick in künstlerische Protestformen wie Straßentheater, Flashmobs, Performances geben. Es ist das erste Mal, dass es so etwas in Deutschland überhaupt gibt. Veranstaltet wird es vom Zentrum für Politische Schönheit, einem Sammelbecken von Berliner Diffus-Kreativen, Studenten und Schauspielern, die mit poetischen Aktionen Kunst und Protest zusammen bringen. Ein politisch schöner Radikalinski möchte ich auch sein. Aber wie komme ich da hin?

Punkt 1: Sei hart im Nehmen

Es ist ein kühler Septembermorgen in der mecklenburgischen Einöde. Auf den schwachbraunen Äckern bringen die Bauern mit schwerem Gefährt die letzte Saat in den Boden. Bis zum Horizont nichts als Natur. Zwischen den Feldern liegt der 800 Jahre alte Gutshof “Schloss Bröllin”. In den kaum sanierten Viehställen sind Schlafräume untergebracht, wo der Herbstwind durch die mit Pappkartons ausgebesserten Fenster drückt. Bis zur nächsten Dusche ist es ein erfrischender Weg über den Hof. “Alles Kalkül”, denke ich, “Aktivisten werden nicht im Hotelbett geboren.”

Punkt 2: Liebe Hülsenfrüchte

Im Camp ist alles politisch. Auch die Küche. In den großen Töpfen brodelt es ausschließlich vegan, biologisch und regional. Mittags gibt es Eintopf mit Erbsen , abends ein Gericht mit Tofu oder dicken Bohnen. Ein kleines Team einer Berliner “Volxküche” übernimmt das kulinarische Kommando über uns Nachwuchsprotestler. Die so genannten VoKüs kommen noch aus der Hausbesetzerszene der Achtziger jahre und sind nicht-kommerzielle Suppenküchen wie es sie in vielen politisch linken Einrichtungen gibt. Wer in diesem Spektrum politisch aktiv sein will, wird kaum um eines herum kommen und muss rechtzeitig damit Frieden schließen: Hülsenfrüchte. Sonst gibt es nur Stunk.

Punkt 3: Bring Sitzfleisch mit

Das Aufstehen gegen die Ungerechtigkeit der Welt beginnt im Sitzen. Im Seminarraum sammelt sich die Aktivistenklasse zum Plenum. Bevor wir uns eine Choreografie für ein Straßentheaterstück ausdenken können, sollten wir erst einmal wissen, wogegen es sich richten könnte. “Protestierenden geht es um konkrete Inhalte”, heißt es in Heinrich Geiselbergers Buch “Politik, Protest und Propaganda”. Sie wollen Schuldige benennen, Handeln rechtfertigen und die Dinge zum Besseren wenden. Aber werden wir tatsächlich etwas finden, gegen das wir alle Einspruch erheben können? Das Spektrum der Teilnehmer ist groß: Während die eine Blumen pflücken geht, hängt der andere ein “Castor schottern”-Plakat auf. Einer isst aus Klimagründen kein Fleisch, der andere fordert verschwenderischen Luxus für alle. Der Kampf beginnt.

In wissenschaftlichen Vorträgen versuchen wir zu verstehen, was die Milleniumsziele in der Entwicklungspolitik sind, weil diese gerade parallel auf einem UN-Gipfel verhandelt werden. Ein Referent hat dafür ganze Reader zusammengestellt, die wir durcharbeiten und in Kleingruppen diskutieren müssen. Es fallen Worte wie “Empowerment von Zivilgesellschaften”, “Kontextanalyse” und “Good Governance”. Später schwenken wir auf Menschenrechte um und gucken Videos über den Völkermord im Sudan und den Krieg im Kongo. Stunden über Stunden ziehen an uns Bilder von abgehackten Händen, geschändeten Frauen und gebrandschatzen Dörfer vorbei. Die Gedanken an Spaßproteste sind erst einmal von Erschütterung verschluckt. Dann beginnt der Diskussionsmarathon.
                                
Punkt 4: Sei eine Blume

Ich bin erschöpft, zermürbt, leer gequatscht. In unserer Positionssuche machen wir immer einen Schritt nach vorn und zwei zurück. Wie die UNO bei der Hungerbekämpfung. Was soll das alles hier? Können wir die Welt verbessern, wenn wir nicht besser sind?
Die Frage hätte sich wohl tief in mich einfressen können, wäre da nicht etwas passiert: Die Kunst greift ein.

Über den Feldern von Bröllin scheint endlich die Sonne. Die Gruppe sammelt sich auf einer noch vom Morgentau angefeuchteten Wiese und macht merkwürdige Bewegungen. Wir spielen ein Fangspiel mit Auf-den-Hintern-Klapsen, bewegen uns mit geschlossenen Augen in einer imaginären Blase und legen uns mit angefassten Händen ins Gras und simulieren das Öffnen und Schließen einer Blume. Die Übungen gehören zu einem Aufwärmprogramm für Theaterleute. Und weil wir als Straßentheater-Protestanfänger ja auch temporär dazu gehören, bedienen wir uns der künstlerischen Gruppensensibilierung. So komisch es klingen mag: Wer einmal ein Blütenblatt einer Gemeinschaftsblume ist, wird später kein Dorn mehr. Und das ist für eine Aktivistengruppe das aller, aller Wichtigste: Geschlossenheit.

Punkt 5: Tu was du willst

Im Seminarraum wächst das Tafelbild immer weiter an. Auf zusammengeklebten Flipchart-Blättern stehen politische Aktionsformen aller Art. “Adbusting” gibt es dort. Das meint das Verändern von Werbebotschaften vor allem in der Streetart-Szene. Containern, Guerillagardening oder Radical Cheerleading steht auf den Zetteln. Wir lernen“Rebelclowns” kennen, eine humorvolle Deeskalationsgruppe auf Demonstrationen und warum man mit “Action-Samba” mehr Leute gewinnen kann als mit aggressiven Sprechchören. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen, so vielfältig und unaufhörlich entwickelt sich der kreative Straßenprotest. Schon in den Neunziger Jahren suchten von “Latsch-Demos” gelangweilte Spaßguerilleros nach neuen Ausdrucksformen des Widerstands. Heute sind die meisten Protestzusammenkünfte geprägt “durch eine bunte Mischung von Aktionsformen”, wie es in dem Buch “Go.Stop.Act” von Marc Amman heißt. Nicht selten erinnerten sie an riesige Straßenfeste und den Karneval einer anderen Welt.

Doch wie kriegt man den Karneval auf den mecklenburgischen Acker? Die Gruppe teilt sich in einzelne Sektionen auf. Einige üben auf Stelzen zu gehen und staksen in blauen Mülltüten mit den Buchstaben U und N über den Hof. Andere wagen sich ans Kletterseil und stählen sich für das vertikale Element einer Theaterperformance. Ich sitze in der Gruppe “Narrenfreiheit” und lerne von einem Gründer der Hedonistischen Internationalen, dass man aus dem eigenen Spaßbedürfnis sehr wohl politische Mitbestimmung ableiten darf. Als gelehrige Schüler strecken wir uns im sonnigen Gras aus und denken über ein eindringliches Symbol für unsere politische Aktion nach. Es soll irgendwie die Untätigkeit der westlichen Welt auf dem Weltarmutsgipfel symbolisieren. Wir drehen Däumchen. Und drehen und denken und drehen. Das ist es!

Punkt 6: Immer mit Bums

Was dann folgt, ist ein mühsames Stück Spaß. Die Gruppe bricht auf zu endlosen Spaziergängen über die Äcker, um endlich eine sinnvolle Idee aus dem Däumchendreh-Motiv zu entwickeln. Sie spielt Situationen durch, wie man mit Däumchen-Drehen Supermarktkassen blockieren oder unsichtbares Theater inszenieren könnte. Nichts zündet so wirklich – bis jemand die trashige Achtziger-Jahre-Pop-Nummer von Ottawan “Hands up” auflegt. Sofort fangen wir zu tanzen an, polonaisieren über den Gutshof, improvisieren ein Däumchendreher-Ballett. Das Motto der russisch-amerikanischen Anarchistin und Vordenkerin des Spaßprotests Emma Goldmann hatte uns komplett erfasst: “Wenn ich nicht tanzen kann, ist das nicht meine Revolution”.

Punkt 7: Sei bereit

Als wir Berlin erreichen, ist plötzlich alles anders. Wir haben für unsere große Protestaktion bunte Schilder dabei, bemalte Pappkartons, vage Kostüme. Vor der Marienkirche am Alexanderplatz wollen wir unsere Straßentheater-Nummer über die Ungerechtigkeit der Welt zeigen, aber nur wenige Schritte weiter haben die Taubstummen einen riesigen türkisfarbenen Doppelstockbus aufgefahren und locken mit wummernden Bässen die Massen an. Als wäre die Protestkonkurrenz nicht schon ärgerlich genug, fängt es in langen kalten Fäden an zu regnen. Unter den Ästen einer Linde kauern wir uns zusammen und gucken in den Himmel. Aber wir haben uns nicht umsonst sieben Nächte bei gefühlten Minustemperaturen geschlafen, den Organismus auf vegan umgestellt, sitzfleischintensive Debatten überstanden, uns aktivistisches Rüstzeug draufgebracht und Blumenübungen gemacht, um jetzt achselzuckend nach Hause zu gehen. Die Show fängt an. Das Däumchendreher-Ballett erträgt den Regen in stoischer Bürokratenmiene, die Kletterer versuchen symbolisch auf das Niveau des Westens zu kommen, der Kapitalismus lacht sich einen ab. Als wir uns vor dem Regenschirmpublikum verbeugt haben, schießt das Endorphin in die Blutbahn. Davon aufgeputscht brechen wir auf zu neuen Aktionen. Ohne Anmeldung. Ohne Campaufsicht.
Am Schluss kommt ein altes Mütterchen mit Kopftuch und starkem russischen Akzent auf mich zu und fragt, was wir eigentlich wollen. “Eine bessere Welt” sage ich. Und sie: “Warum?” “Na, weil wir Aktivisten sind.” Sie schweigt. “Und Aktivistinnen natürlich.” Da nickt sie bedächtig und ich habe das Gefühl, irgend etwas gelernt zu haben.