Ich leake es

Viele Kreative hadern damit, ihre Fähigkeiten an die Werbeindustrie zu verkaufen. Statt mit Klischees den Kapitalismus zu unterstützen, würden sie ihn lieber mit Krawall zerstören. Das Peng!-Kollektiv möchte diese Zweifler zu geheimen Überläufern machen. Aber auch andere Adbusting-Gruppen greifen auf Menschen, Material und Methoden der Werbeindustrie zurück. Ein Ausflug in die Welt des Adbustings.

recherchiert für Die Zeit
vollständig erschienen in Aperçu Gesellschaftsreader

Als Anna Frech* die orange-farbene Sicherheitsweste über den schwarzen Kapuzenpullover gezogen hat und vor der Werbevitrine steht, ist das der vorerst letzte Akt ihres Rollenwechsels: von einer Werberin zur Werbezerstörerin. Im Hamburger Stadtteil Altona zieht sich der Himmel zu einem Regenschauer zusammen. Menschen hasten mit Turnschuhen und Laptoptaschen in ihren Feierabend. Keiner bemerkt den Ungehorsam in Signalfarben, der sich hier mitten in der werbewimmeligen Großstadt vollzieht. Anna ist keine Angestellte von Stroer, Wall oder JCDecaux - jenen Firmen, die in den deutschen Städten Plakatwände, Glasvitrinen und andere Flächen aufstellen und damit öffentlichen Raum zu käuflichem Raum   für einfache Botschaften machen: raucht mehr Zigaretten, trinkt mehr Hafermilch, fahrt mehr Kreuzfahrtschiff und so weiter. Anna ist darauf die Antwort, zumindest ein ganz kleines bisschen. Mit den Fingern sucht sie den Glaskasten ab bis sie rechts unten am Rahmen das Schlüsselloch gefunden hat, holt einen sechskantigen Ikea-Schlüssel aus ihrer Werkzeugtasche und dreht ihn ein paar Mal im Gewinde herum. Dann klappt sie seelenruhig die Scheibe hoch und entrollt mit fast schon demonstrativer Ruhe ein Plakat. Darauf steht: „Wir sabotieren Werbung. AdBlockers.“ 

Anna heißt nicht wirklich Anna. Sie möchte in diesem Text so genannt werden, weil sie zum einen mit ihrem Werkzeug gerade in Graubereichen des Legalen unterwegs ist, aber auch weil ihr bürgerliches Leben als Werkstudentin in einer großen Werbeagentur noch nicht lange her ist. Sie hat noch immer viele Freundinnen und Freunde in der Werbebranche und will nicht, dass jemand ihre Aktion als persönlichen Rachefeldzug missversteht. Denn darum geht es ihr nicht: „Ich möchte meine Fähigkeiten für etwas Sinnvolleres einsetzen als Botschaften in die Welt zu schicken, die oft sexistische und rassistische Stereotype bedienen und uns erklären, dass wir unbedingt noch mehr konsumieren müssen.“ Sie möchte genau das Gegenteil: ihre Ideen, Worte, Taten für eine andere Variante von Welt einsetzen. Eine, die nicht vom kapitalistischen Mantra der ewigen Steigerungskurve bestimmt ist, sondern von Sinn. Dafür hat sie sich dem „Peng! Kollektiv“ angeschlossen, einem „explosiven Gemisch aus Aktivismus, Hacking und Kunst im Kampf gegen die Barbarei unserer Zeit“, wie sich die Gruppe auf ihrer Webseite selbst beschreibt. Sie ist weniger bekannt als die amerikanischen Yes-Man oder das deutsche Zentrum für Politische Schönheit, aber ihre Aktionen sind nicht weniger schlagkräftig: 2013 haben sie sich als Fake-Wissenschaftler bei Shell eingeschlichen und eine angebliche Luftfilteranlage als Ölkatastrophe hochgehen lassen, 2015 verkündeten sie in der Hauptzentrale von Vattenfall, dass der Konzern zu 100% auf erneuerbare Energien umsteige, 2016 entschuldigten sich die Aktivisten und Künstlerinnen im Namen der Bundesarbeitsministeriums für die HartzIV-Gesetze. 2017 lancierten sie eine Rückrufaktion aller Heckler&Koch-Waffen in den USA und 2018 riefen sie Deutschland zum Klauen in Supermärkten auf. „Auf diese krassen Formen der Kommunikationsguerilla waren die Werbeleute bei uns ganz heiß“, sagt Anna. „Ich hab zu Agenturzeiten sogar damals bei Peng! angerufen, damit sie bei uns einen Vortrag über ihre Kampagnen halten.“ Das war ihr erster Kontakt mit der Subversion.

„Hättet ihr damals eigentlich bei uns 'ne Aktion gemacht?“, fragt Anna. Sie sitzt am Tisch eines Kreuzberger Cafés mit abgewetzten Wänden und Bollerofen. Auf dem Tisch verteilen sich Laptops, Telefone, Festplatten, dahinter drei weitere Mitglieder des Teams. Jona* - Ballonseidenhose, Piercings, Vokuhila - grinst und zuckt die Schultern: „Na klar!“ Man kollaboriere bei Peng! nicht mit dem Feind, man unterwandert ihn. Wie genau das ausgesehen hätte, soll hier nicht stehen - vielleicht kann man die Idee ja später noch einmal gebrauchen. Der Kampf gegen, aber mit den Mitteln der Werbung gehört zur Kernstrategie von Peng! Dass Anna sich damit auskennt, ist für die Aktion von Vorteil: Sie will mit drei weiteren Mitgliedern die Aktion „AdBlockers“ starten: das soll eine Leaking-Plattform werden, auf die Werbetreibende anonym noch vor der Veröffentlichung ihre eigenen Kampagnen hochladen können. Texte, Videos, Bilder, Hintergrundinformationen. Die Leaker brechen dafür ihre Verträge. Wenn sie auffliegen, kann sie das nicht nur ihren Job, sondern auch viel Geld kosten. Kann man tatsächlich Werbetreibende zu Saboteuren machen? 

Um die Aktion von Peng! zu verstehen, muss man sich zunächst die Szene der Adbuster angucken. „Ad“ ist die englische Abkürzung für Werbung, „bust“ bedeutet kaputtmachen, zerstören, Hops nehmen. „Wir entstellen die Werbung bis sie kenntlich wird“, behauptet der Berlin Busters Social Club in seinem gerade erschienenen Sammelband „Unerhört - Adbusting gegen die Gesamtscheiße“. Darin zeigt das Kollektiv wie Plakatwände mit Sprüchen kommentiert, ihre Optik verändert oder komplett überklebt werden. Dazu erörtern Erklärtexte, wie politisch sinnvoll das Busting war. Ein Beispiel: Ab November 2015 warb die Bundeswehr in einer auffälligen Kampagne für den Dienst an der Waffe. Die vom Verteidigungsministerium beauftragte Düsseldorfer Agentur Castenow druckte dafür provokante Sprüche auf Camouflage wie „Wir kämpfen dafür, dass du auch gegen uns sein kannst“ oder zeigten eine Soldatin auf einem U-Boot mit dem Spruch „Nicht jede Führungskraft hat ein Büro“. Weil das Militär seit dem Aussetzen der Wehrpflicht immer schwieriger Rekruten findet, suchte man ein neues ästhetisches Image. Laut Agentur war für „Mach war wirklich zählt"  ein Budget von 3,6 Millionen Euro vorgesehen. Weil Adbusting-Gruppen häufig einem linken systemkritischen Milieu zugehören, wurden die Camouflage-Poster für sie ein rotes Tuch.   Manche kopierten 1:1 den Flecktarn-Look und schrieben im gleichen Stil: „Wir kämpfen vor allem für die deutsche Wirtschaft“ oder „Auch bei uns haben Frauen das letzte Wort: an den Gräbern ihrer Söhne“. Andere kleisterten direkt auf das Plakat der Soldatin: „Nicht jede Führungskraft befiehlt Schikane“. Auch das Peng! Kollektiv machte damals eine Kampagne, in der sie Aufkleber mit einer leicht veränderten Internetadresse auf die Plakate klebte: Auf Machwaszaehlt.de warb man im Bundeswehr-Design für Jobs in der Altenpflege oder der Entwicklungszusammenarbeit. Nach nur einem Tag hatte die Fake-Seite bereits 150 000 Zugriffe und landete bei Google noch vor der Originalseite - für einen Bruchteil des Budgets.

Im klassischen David-gegen-Goliath-Kampf um Aufmerksamkeit haben die Werbezerstörer im Vergleich zu den Werbern nur wenig Zeit und Ressourcen für ihre Gegenkampagnen. „Es ist immer nur eine punktuell gesetzte Kritik“, sagt Boris* vom Berlin Buster Social Club. „Adbuster können nur wenige Plakate drucken und diese werden meistens schnell wieder ausgetauscht. Zwar tauchen die Fotos davon auf Seiten wie indymedia oder urbanshit auf, aber: "Es ist fraglich, wer es überhaupt mitbekommt.“ 
Damit Peng! und andere Gruppen wirkmächtigere Aktionen machen können, sucht das Kollektiv also Kollaborateure aus der Werbebranche selbst. Schon jetzt arbeite man mit einem Kreis von etwa 100 Grafikern, Fotografen, Textern, Schauspielern und anderen diffus Kreativen zusammen, aber es sollen mehr werden. Man will Überläufer direkt aus dem innersten Kreis des Feindes. „Und eine größtmögliche Paranoia in den Agenturen“, sagt Anna von Peng!

Werbekritik ist so alt wie die Werbung selbst - und auch der Aufruf zum Überlaufen ist nicht direkt neu. Der britische Grafikdesigner Ken Garland formulierte bereits 1964 in dem Manifest „First things first“, dass Grafiker, Fotografen und Marketingstudierende ihre Fähigkeiten für Sinnvolleres einsetzen sollten als für Katzenfutter, Magenpulver, Diätpillen oder gestreifte Zahnpasta. „Der weit größte Teil unserer Zeit und Anstrengungen als Arbeitende der Werbeindustrie geht für triviale Botschaften drauf, die nichts oder nur wenig zum nationalen Wohlergehen beitragen“, schrieb er. "Wir wollen nicht die Werbeindustrie abschaffen - das ist wohl kaum möglich - oder den Spaß am Leben bremsen, sondern nützlichere und nachhaltigere Kommunikationsformen vorschlagen.“

Dass es von Werbung zu Werbezerstörung nur ein kleiner Schritt ist, hat auch James Dolphin* erlebt. Der Brite arbeitete für eine der größten globalen Agenturen. „Ich hab Leuten Jeeps verkauft, die keine Jeeps brauchten - das hat mich zunehmend zermürbt, weil ich nicht mehr ausblenden konnte, was ich unserer Umwelt damit eigentlich antue.“ Natürlich könne man in einer Agentur auch mal einen Auftrag ablehnen, wenn er zu sehr gegen die eigenen Werte geht. Aber wenn sich der Zweifel einmal verfestige, dann hält man die Schizophrenie nicht mehr lange aus. James   kündigte und suchte Zugang zu Brandalism, einem umweltbewussten, konsumkritischen Adbusting-Kollektiv, das von London aus arbeitet. „Ich konnte da meine Fähigkeiten bestens einbringen“, sagt er. „Beide Seiten arbeiten ja mit dem Spiel der Bilder und Zeichen um die Öffentlichkeit zu überzeugen. Aber unsere Ziele sind natürlich grundverschieden.“ Ähnlich wie Peng! startete Brandalism 2016 eine Abwerbe-Kampagne mit dem Titel „Switch Sides“. Sie hängten Poster direkt vor Agenturen auf, verschickten handgeschriebene Briefe an Einzelpersonen, veröffentlichten ein Handbuch zum Seitenwechsel und gründeten den Selbsthilfekreis „Advertisers Anonymous“. „Ich habe mit so vielen Werbern und Werberinnen gemailt und gesprochen, die ernsthaft verzweifelt nach einem Ausweg gesucht haben.“ Viele arbeiten mittlerweile als Helferinnen für Brandalism. „Diese Kollaborateure wollen sich ein Stück von ihrer Schuld freimachen“, sagt James.  Er glaube nicht, dass eine Leaking-Plattform der richtige Weg ist, um Werber aus ihrem Dilemma zu befreien. "Du musst sie die Leute dazu bekommen, sich wirklich direkt zu beteiligen. Sie müssen das Gefühl haben, etwas selbst verändern zu können." Adbusting sei die netteste Form von zivilem Ungehorsam - und oft der Einstieg in andere Formen des Aktivismus.

An einem Donnerstag im April, eine Woche vor Kampagnenstart, ist Anna unterwegs in Leipzig Lindenau als das Telefon klingelt. Es meldet sich eine Merle*, Texterin bei einer mittelgroßen Hamburger Agentur. Sie hatte vor einigen Wochen bei einer Umfrage über die Zustände in der Werbeindustrie auf der Facebook-Seite von Peng! mitgemacht. Anna kontaktierte sie daraufhin per Mail, ob sie sich vorstellen könnte, bei einer Aktion mitzumachen. Sie konnte. „Wir haben das Gefühl, dass es viele wie dich in der Branche gibt, die von ihrer Arbeit oft frustriert sind“, sagt Anna am Telefon. „Ja, das stimmt“, sagt Merle. „Ich arbeite seit vier Jahren in der Werbung und fühle mich als Mensch mit eigenen Ansichten und Bedürfnissen gar nicht gesehen. Ich bin nur eine Ressource. Überstunden, Niedermachen vor den Kollegen, Sexismus - das war alles ganz normal.“ Ihre Chefs würden noch in den Mad-Man-mäßigen goldenen Zeiten festhängen.   „Ich wusste gar nicht, wie ich mich dagegen wehren sollte und bin davon krank geworden. „Da hat keiner Mal nachgefragt, warum es mir eigentlich so schlecht geht. Letztlich musste mir die Galle entfernt werden. Das war für mich dann der Punkt zu sagen: Ich gehe.“   Die Texterin ist frustriert - nicht vom System Werbung selbst - das findet sie eigentlich einen spannenden Job - sondern von „dieser Riege alter weißer Männer, die gar nicht merken, dass die Zeit ihrer alten Wahrheiten abgelaufen ist.“ 

Schaut man sich jene Kampagnen der vergangenen Wochen an, die am meisten Unmut auf sich gezogen haben, dann waren sie oft aus dem Geist des Man-würd-ja-wohl-noch-sagen-dürfen entstanden: Das Bundesverkehrsministerium versuchte mit halbnackten Models für Fahrradhelme zu werben - und kassierte dafür einen Shitstorm im Internet. Der Baumarkt Hornbach ließ in einem Spot eine Asiatin durchgeschwitzte Männerunterhemden aus einem Automaten ziehen - und musste nach einer Petition mit 38 000 Unterschriften, Beschwerden der japanischen und südkoreanischen Boschafter und dem Drängen des Werberates das Video schließlich zurückziehen. Die „alten Wahrheiten“ werden nicht mehr widerspruchslos erduldet. „Im vergangenen Jahr hat der Deutsche Werberat 702 Werbemaßnahmen überprüft. Rund 90 Prozent aller beanstandeten Unternehmen stoppten oder änderten daraufhin ihre Werbung“, schrieb der Chefredakteur der Fachzeitschrift von Werben&Verkaufen, Jochen Kalka. Das Gremium funktioniere also absolut perfekt. Zur Sabotage aufzurufen wie es Peng! dagegen tut, sei „doof“, „weltfremd“ und „kriminell“. Niemand würde sich doch dafür hergeben.

In der letzten Aprilwoche treffen sich die AdBlockers in ihrer angemieteten Wohnung in Leipzig. An den Rauhfasertapeten kleben Post-Its, auf denen steht, was es noch zu tun gibt: Pressearbeit, Werber*innen kontaktieren, Video hochladen. Um 9.30 Uhr ist es so weit: auf Facebook, Instagram und Twitter erscheint das Video, in dem eine vermeintliche Werberin durch ihre Agentur schreitet, vorbei an den Dreharbeiten zu einem Fahrradhelm-Video und einem Unterhemd-Schnüffelei und verkündet: „Diese Kampagne geht nach hinten los. Ich bin Teil einer Widerstands-Bewegung!“

Anna ist stolz auf das Video. Sie hatte für die Dreharbeiten einige alte Kontakte aktiviert - professioneller Regisseur, Kamerafrau, Schauspielerin, Statisten, Techniker, Kosmetikerin, Fahrer, Catering. In den Räumen eines Co-Working-Space sagten viele der Beteiligten, dass sie nicht wegen dem bisschen Geld da seien, dass Peng! aus Spenden an sie zahlen kann, sondern weil es ihnen einmal die Möglichkeit gibt, aus Überzeugung zu handeln. So als wäre das Kollektiv ein Ventil für die lange unterdrückten Subversionsphantasien verschiedener Gewerke. Trotzdem bleiben die Reaktionen der Öffentlichkeit eher verhalten. Es gibt ein paar Likes von eisernen Fans, zwei Branchenblätter berichten, ein Journalist lädt über das Leakingportal das Bild einer Biene hoch, um zu gucken, ob es wirklich funktioniert.

An dem Tag, an dem Anna in orange-farbener Sicherheitsweste die Glasvitrine aufschließen und ihr Kampagnenplakat aufhängen wird, schickt sie auch menschliche Werbetafeln vor die Eingänge der größten Agenturen des Landes. Auf ihren Schildern steht „Wecke den Leaker in dir“ oder „Bock zu sabotieren?“. Es ist gerade Mittagspause und die Angestellten huschen mit unsicherem Lächeln an den Aktivsten und Aktivistinnen vorbei, einige nehmen Flyer und USB-Sticks mit, machen Insta-Storys oder nicken wissend, weil sie das Video schon gesehen haben. Wenige bleiben zum Gespräch stehen. „Wir sind natürlich die Fontschweine im Kapitalismus“, sagt einer, der bei Jung von Matt als Texter arbeitet. Dessen müsse man sich bewusst sein, aber Verkaufen müsse man sich doch in jedem System. Die AdBlockers stehen um ihn herum und schweigen. Dann sagt eine Aktivsitin: „Hast du denn Bock zu sabotieren?“, und das gerade noch so überzeugte „Frontschwein" sagt ohne zu Zögern „Ja!“ und steckt die Flyer mit der Leaking-Seite ein. Als er am Schluss die Bildfreigabe unterschreiben soll, lacht er: „Das kenn ich, das machen wir genauso.“